Im Mischsystem wird das in Haushalten, Gewerbe und Industrie anfallende Abwasser (Schmutzwasser) zusammen mit dem Niederschlagswasser und dem unvermeidlichen Fremdwasser in einem Kanal gesammelt und abgeleitet. Bei Regen treten sehr hohe Abflüsse auf, die nicht vollständig in Kläranlagen behandelt werden können. Daher sind Bauwerke nötig, an denen ein Teil dieser Abflüsse zwischengespeichert oder schadlos aus dem Kanalnetz überlaufen und in ein Gewässer eingeleitet werden kann.
Abbildung 1: Mischsystem
Bei der Erschließung von neuen Baugebieten werden in den letzten Jahren zunehmend modifizierte Systeme eingesetzt. Dabei wird der Regenabfluss abhängig vom Grad seiner Verschmutzung abgeleitet und behandelt.
Gering verschmutztes Niederschlagswasser ist nicht behandlungsbedürftig und kann daher ohne weitere Behandlung über die belebte Bodenzone versickert oder in ein Gewässer eingeleitet werden.
Stärker verschmutztes Niederschlagswasser ist dagegen behandlungsbedürftig und wird beim modifizierten Mischsystem in Richtung Kläranlage abgeleitet.
Abbildung 2: Modifiziertes Mischsystem
Ob Niederschlagswasserabflüsse im Einzelfall behandlungsbedürftig sind oder nicht, hängt ab von
So kann zum Beispiel der Regenabfluss einer Hauptverkehrsstraße meist ohne Behandlung in einen großen Fluss eingeleitet werden. Bei der Einleitung in einen Bach wäre jedoch eine Behandlung erforderlich.
Abwasser wird im technischen Sprachgebrauch nach seinem Ursprung unterschieden in:
häusliches Schmutzwasser Q(H):
Dies ist vor allem das in privaten Haushalten anfallende Abwasser. Es zählen aber auch Abwässer auf öffentlichen Einrichtungen (Schulen, Bibliotheken usw.) und kleinen gewerblichen Betrieben (Restaurant, Bäcker usw.) dazu.
gewerbliches/industrielles Schmutzwasser Q(G):
Gewerbliches/industrielles Schmutzwasser entsteht bei den Produktionsprozessen in Gewerbe- und Industriebetrieben.
Fremdwasser Q(F):
Fremdwasser ist im Kanal abfließendes Wasser, das weder durch Gebrauch in seinen Eigenschaften verändert ist (Schmutzwasser), noch Regenwasser von bebauten oder befestigten Flächen, welches gezielt eingeleitet wurde. Im Mischsystem wird Fremdwasser durch in undichte Kanäle eindringendes Grundwasser oder zum Beispiel durch Hausdränagen gefasstes Schichten-, Sicker- und Dränwasser verursacht. Niederschlagsbedingt entsteht Fremdwasser durch nicht planmäßig zufließende Oberflächenabflüsse von Außengebieten. Auch eingeleitetes Bach- oder Quellwasser ist Fremdwasser.
Regenwasser Q(R):
Wasser, das infolge von Niederschlägen von Dächern und sonstigen befestigten Flächen abfließt und in den Kanal eingeleitet wird, wird als Regenwasser Q(R) bezeichnet.
Die Summe aus häuslichem und gewerblichem/industriellem Schmutzwasser wird übergeordnet als Schmutzwasser Q(S) bezeichnet.
Q(S)=Q(H) + Q(G)
Schmutzwasser und Fremdwasser ergeben zusammen den Trockenwetterabfluss Q(T), also den Abfluss, der im Kanal fließt, wenn es nicht regnet.
Q(T)=Q(S) + Q(F)
Bei Regen fließen im Kanal der Trockenwetterabfluss und der Regenabfluss. Diese Summe kann als Regenwetterabfluss oder Gesamtabfluss Q(ges) bezeichnet werden.
Q(ges)=Q(T) + Q(R)
Die Abflusskomponenten Schmutzwasser, Fremdwasser und insbesondere das Regenwasser fallen in sehr unterschiedlichen Mengen an.
Schmutzwasseranfall
Der häusliche Schmutzwasseranfall entspricht weitgehend dem häuslichen Wasserverbrauch. Er beträgt in Deutschland etwa 125 Liter pro Einwohner und Tag. Die größten Anteile am Gesamtwasserverbrauch haben das Baden und Duschen, das Wäsche waschen und die WC-Spülung.
Im Tagesverlauf treten Verbrauchsschwankungen auf, die sich in einem ansgeprägten Tagesgang des Schmutzwasseranfalls äußern. In der Regel ist der Wasserverbrauch an Wochentagen in den Morgen- und Abendstunden erhöht. Durch unterschiedliche Lebensgewohnheiten sind die Verbrauchsschwankungen allerdings in ländlichen Gebieten stärker ausgeprägt als in größeren Städten. Weiterhin vergleichmäßigt sich der Schmutzwassertagesgang bei längeren Fließstrecken im Kanalnetz.
Der gewerbliche/industrielle Abwasseranfall wird meist durch die Einheit Liter pro Produktionseinheit erfasst. Je nach Produkt gibt es dabei zum Teil erhebliche Unterschiede beim Schmutzwasseranfall.
Beispiele für den mittleren Schmutzwasseranfall:
Der Tagesgang ist vor allem durch die Produktionsbedingungen wie tägliche Arbeitsstunden, Schichtbetrieb und andere Faktoren geprägt.
Fremdwasseranfall
Häufig wird die Fremdwassermenge im Kanalnetz bzw. im Zulauf der Kläranlage als Fremdwasseranteil [%] angegeben. Er Beschreibt das Verhältnis zwischen Fremdwasser- und Trockenwetterabfluss (Summe aus Fremd- und Schmutzwasserabfluss).
Ein Fremdwasseranteil von 50 % bedeutet, dass der Kläranlage genausoviel Fremd- wie Schmutzwasser zufließt.
In Baden-Württemberg entfällt unter bestimmten Randbedingungen ab diesem Fremdwasseranteil die Ermäßigung auf die Abwasserabgabe ("unzulässige Verdünnung").
Sowohl räumlich als auch zeitlich gibt es große Unterschiede beim Fremdwasseranfall. Er wird wesentlich durch den Grundwasserstand und den Zustand der Kanäle beeinflusst.
Auch innerhalb eines Entwässerungsnetzes sind große Unterschiede beim Fremdwasseranfall möglich. Beispielsweise ist bei Kanälen, die sehr tief und damit unterhalb des Grundwasserspiegels liegen, mit einem erhöhten Fremdwasseranfall zu rechnen.
Nach stärkeren Regenfällen ist oftmals der Abfluss im Kanalnetz noch über mehrere Tage hinweg erhöht, obwohl der direkte Regenabfluss schon nach wenigen Stunden beendet ist. Dieser Fremdwasserabfluss wird häufig als "verzögerter" Regennachlauf" bezeichnet. Mit der Veränderung des Grunwasserspiegels im Verlauf eines Jahres verändert sich auch der Fremdwasseranfall mit den Jahreszeiten. Durch die erhöhten Grundwasserstände im späten Winter und im Frühjahr fällt in dieser Zeit in der Regel auch das meiste Fremdwasser an. Wie stark die Schwankungen sind, hängt von den Randbedingungen im Einzelfall ab. Vorübergehend stark erhöhte Fremdwasserabflüsse im Winter und Frühjahr führen häufig zu Trockenwetterentlastungen an Regenüberlaufbecken, die teilweise mehrere Wochen andauern können.
Auch andere Faktoren (Hochwasser, Schneeschmelze) können den Fremdwasseranfall beeinflussen.
Regenwasseranfall
Die Menge des gefallenen Niederschlags wird als Niederschlagshöhe hN angegeben. Sie hat die Einheit mm und gibt an, wie hoch der Wasserspiegel ohne Verluste (Versickerung, Verdunstung) auf einer beregneten Fläche nach einer bestimmten Zeit wäre. 1 mm Niederschlagshöhe entspricht 1 Liter gefallenen Niederschlag pro m^2 Fläche.
Die durchschnittliche Jahresniederschlagshöhe beträgt in Deutschland 780 mm/a. Dabei regnet es im Durchschnitt etwa 10 % der Zeit eines Jahres. Sowohl die Niederschlagshöhe als auch die Gesamtdauer des Niederschlags sind jedoch regional sehr unterschiedlich. Das gilt auch für die Verteilung des Niederschlags über das Jahr.
Wie stark es zu einem bestimmten Zeitpunkt regnet, wird durch die Regenspende r ausgedrückt. Sie gibt an, welches Regenvolumen pro Zeit und Fläche fällt und trägt meist die Einheit l/(s*ha), also Liter pro Sekunde und Hektar.
Schwache Regenfälle ("Nieselregen") haben Regenspenden im Bereich unter 1 l/(sha). Starkniederschläge, wie sie durchschnittlich etwa einmal im Jahr kurzzeitig auftreten, haben Regenspenden von über 100 l/(sha).
Nicht jeder Regentropfen gelangt auch tatsächlich in die Kanalisation. Auf befestigten Oberflächen geht Wasser z.B. durch Verdunstung verloren oder bleibt in Pfützen stehen (Muldenauffüllung). Auf unbefestigten Flächen versickert meist der größte Teil des Regens.
Wie groß der Anteil des Niederschlags ist, der tatsächlich zum Abfluss kommt, hängt von der Stärke des betrachteten Regens ab. Bei sehr starken Regenfällen kommt ein größerer Anteil zum Ablfluss als im Mittel aller über ein Jahr auftretender Regen.
Abwässer enthalten eine Vielzahl unterschiedlichster Schadstoffe. Um die Verschmutzung allgemein zu beschreiben, werden stellvertretend für diese Vielzahl einzelnee Stoffe und Stoffgruppen betrachtet (sog. Indikatoren). In Tabelle1 sind Bandbreiten für den Indikator CSB (chemischer Sauerstoffbedarf) als Leitparameter für die Verschmutzung unterschiedlicher Abflussarten angegeben.
Tabelle 1: Bandbreiten der Verschmutzung von Regen- und Mischwasserabfluss (Brombach, Hansjörg, und S. Fuchs. "Datenpool gemessener Verschmutzungskonzentrationen in Misch- und Trennkanalisation." KA-Abwasser, Abfall, 2003 (50) Nr. 4: 441f)
Die Bandbreiten zwischen minimalen und maximalen CSB-Gehalt machen deutlich, dass es sehr große Unterschiede in der Verschmutzung von Niederschlagswasserabflüssen gibt. Die Verschmutzung hängt dabei sehr stark von der Nutzung der Oberflächen ab, von denen sie abfließen. Von Straßen und Parkplätzen werden vor allem zu Beginn von Niederschlagsereignissen Verschmutzungen abgespült, die sich in der vorangegangenen Trockenzeit dort angesammelt haben. Ursachen der Verschmutzung sind Abrieb von Reifen, Bremsen und Fahrbahn, verlorene Motorenöle und Autoabgase. Dachflächen sind dagegen grundsätzlich weniger verschmutzt.
In der Mischwasserkanalisation bilden sich während der Trockenperioden oftmals Ablagerungen, die wegen der geringen Schleppkraft nicht weitertransportiert werden. Durch die höheren Fließgeschwindigkeiten bei Regenereignissen werden diese Ablagerungen teilweise wieder aufgewirbelt (remobilisiert). Diese Remobilisierung tritt ebenfalls überwiegend zu Beginn von Regenereignissen auf und führt zu einer sehr hohen Verschmutzung des Abflusses. Dieser Effekt wird "Spülstoß" genannt.
Dadurch treten zeitweise bei Regen höhere Konzentrationen auf als im Trockenwetterabfluss. Wenn die Oberflächen und der Kanal freigespült sind, geht die Verschmutzung des Abflusses deutlich zurück. Das Regenwasser verdünnt dann den Schmutzwasserabfluss.
Selten sehr starke Niederschläge können nicht vollständig in Abwasseranlagen behandelt werden. Deshalb wird unter Abwägung ökologischer und wirtschaftlicher Faktoren der kritische Mischwasserabfluss Q(krit) als Grenzwert für die Behandlung im Mischsystem festgelegt. Abflüsse, die größer sind als Q(krit) treten nur so selten auf, dass es sich nicht lohnt Behandlungsanlagen auf diese Abflüsse auszulegen. Wegen der vertretbaren Auswirkungen auf die Umwelt können Abflüsse über dem kritischen Mischwasserabfluss daher grundsätzlich ohne Behandlung in der Kläranlage oder in einem Regenbecken direkt in ein Gewässer entlastet werden.
Der kritische Mischwasserabfluss berechnet sich wie folgt:
Q(krit) = Q(T,dM) + r(krit) * A(U) + Summe Q(Dr,i) [l/s]
mit:
Q(T,dM): Trockenwetterabfluss im Tagesmittel aus dem unmittelbaren Zwischeneinzugsgebiet [l/s]
r(krit): kritische Regenspende [l/(s*ha)]
A(U): undurchlässige Fläche [m2]
Summe Q(Dr,i): Summe aller unmittelbar von oberhalb zufließenden Drosselabflüsse [l/s]
Die Regenspende mit der der kritische Mischwasserabfluss berechnet wird, ist die kritische Regenspende r(krit). Sie wird je nach Empfindlichkeit des betroffenen Gewässers festgelegt. In Baden-Württemberg liegt sie im Normalfall bei 15 l/(sha). Bei besonders empfindlichen Gewässern wird sie auf bis zu 45 l/(sha) erhöht werden.
Bei starken Regen müssen im Mischwasserkanal Abflüsse abgeleitet werden, die den Trockenwetterabfluss um mehr als das 100-fache Übersteigen. Andernfalls käme es zu Überflutungen und Schäden.
Diese sehr großen (und nur selten auftretenden) Abflussmengen können unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten weder vollständig zur Kläranlage transportiert noch dort behandelt werden. Nach dem Abklingen des Spülstoßes ist die Verdünnung in der Regel ohnehin so groß, dass das Mischwasser in der Kläranlage nicht weitergehend gereinigt werden kann.
Kläranlagen im Mischsystem werden heutzutage abhängig vom Einzugsgebiet auf den 3 bis maximal 9-fachen mittleren Schmutzwasserabfluss (f(S) = 3 bis max. 9) zuzüglich dem Fremdwasserabfluss Q(F) bemessen.
Q(M) = f(S) * Q(S) + Q(F)
Um den Gesamtabfluss Q(ges) bei starken Niederschlagsereignissen auf diesen Mischwasserzufluss Q(M) zur Kläranlage zu reduzieren, werden im Kanalnetz Regenwasserentlastungsanlagen angeordnet. Dort wird bei Niederschlägen der weitergeführte Abfluss begrenzt, um die hydraulische Belastung der nachfolgenden Kanäle und der Kläranlage zu verringern. Ein Teil des Abwasserstroms wird zwischengespeichert oder direkt in ein Gewässer entlastet.
*Auszüge aus dem Handbuch "Betrieb von Regenüberlaufbecken"