Optimierung des Betriebs von Regenüberlaufbecken als wichtiger Beitrag zum Gewässerschutz - DWA-Landesverband initiiert Fachbereich
Die Abwasserreinigung in Baden-Württemberg verzeichnet seit Jahrzehnten eine kontinuierliche Leistungsverbesserung, die im bundesweiten Vergleich Maßstäbe setzt. Im Sinne eines nachhaltigen Gewässerschutzes hält es der DWA-Landesverband Baden-Württemberg für umso dringlicher, eine im landesüblichen Mischwassersystem bislang offen gebliebene Lücke zu schließen: Die Rede ist von der Optimierung des Betriebs von Regenüberlaufbecken (RÜB). Entsprechende Defizite sollen durch den Aufbau eines Fachbereichs RÜB mit angegliedertem Netzwerk in Abstimmung mit dem Umweltministerium behoben werden.
In der Abwasserreinigung Baden-Württembergs ist die Arbeit der letzten vier Jahrzehnte geprägt vom kontinuierlichen Bestreben um Verbesserung der Reinigungsleistung und Prozessoptimierung auf Kläranlagen, dem Bau der Regenwasserbehandlungsanlagen und der systematischen Kanalsanierung. Bezüglich der Kläranlagen wird dies immer wieder eindrucksvoll dokumentiert durch die Ergebnisse des alljährlichen Leistungsvergleichs der kommunalen Kläranlagen im Land, die auch bundesweit Maßstäbe setzen. Vor allem auch durch die Initiative zur Entnahme von anthropogenen Spurenstoffen aus dem Abwasser nimmt Baden-Württemberg auf Bundesebene und über die nationalen Grenzen hinaus eine Vorreiterrolle im Gewässerschutz ein.
Regenüberlaufbecken – Schwachstelle im Mischsystem
Gänzlich ungetrübt ist diese Erfolgsgeschichte der Abwasserreinigung in Baden-Württemberg dennoch nicht. Noch nicht. Bei allem Bemühen um weitsichtigen und nachhaltigen Gewässer-schutz im Land ist bis heute eine Lücke offen geblieben: Eine nicht unerhebliche Schwachstelle im Abwassersystem Baden-Württembergs, in dem das Mischsystem mit rund 70 Prozent dominiert, stellen die Regenüberläufe dar. Sie dienen der hydraulischen Entlastung von Kanalnetz und Kläranlage. Die Regenüberlaufbecken (RÜB) sollen den ersten Spülstoß mit besonders starker Verschmutzung bei Regenbeginn aufnehmen und kontrolliert zur Kläranlage weiterleiten, Sie sind damit gewissermaßen Zwischenspeicher für größere niederschlagsbedingte Abwassermengen. Ab einem gewissen Füllstand muss eine Entlastung des Beckens in das Gewässer erfolgen, wobei der Beckeninhalt zwar stark verdünnt, aber ungeklärt in die Umwelt gelangt. Angesichts der guten – und im jährlichen Leistungsvergleich gut dokumentierten – Reinigungsergebnisse der Kläranlagen rücken die Schmutzfrachten, die mit dem Überlauf der RÜB bei Niederschlag in die Gewässer eingeleitet werden, in einen zunehmend kritischen Fokus und signalisieren einen erheblichen Handlungsbedarf.
Sanierungsbedürftige Anlagen im Schatten des Betriebsalltags
Ein Blick hinter die Kulissen bringt die Hintergründe ans Licht: Während die Kläranlagen im Land mit großem Engagement betrieben werden, fristen die RÜB im Betriebsalltag der Abwasserbehandlung vielerorts bis heute ein Schattendasein. Geschuldet ist dies den Wissensdefiziten zu Betriebsverhalten und Wirkung der RÜB. Hinzu kommt konkreter Sanierungsbedarf im Bestand. Die technische Ausstattung ist teilweise veraltet oder unvollständig. Es mangelt an der erforderlichen Datenerhebung und -auswertung ebenso wie an den nötigen Kontrollen seitens der Behörden. Angaben von Prof. Dr.-Ing. Karlheinz Krauth, Stuttgart, zufolge (Lehrer- und Obmanntagung im März 2014 in Stuttgart-Büsnau) wurden 80 Prozent aller RÜB vor der Veröffentlichung der DWA-Regelwerke DWA-A 166 und DWA-M 176 zur Planung von RÜB gebaut; allein aus dieser Sicht sei davon auszugehen, dass viele Becken den heutigen Anforderungen nicht standhalten. Die Diskussion um den Zustand der RÜB wird im Land schon seit rund zehn Jahren geführt. Bereits 2007 wurden die Arbeitsmaterialien zur fortschrittlichen Regenwasserbehandlung veröffentlicht – die Defizite indes bisher noch nicht genügend aufgearbeitet.
RÜB in Baden-Württemberg / Verpflichtung zur Eigenkontrolle
Die ersten RÜB im Land wurden in den 1970er-Jahren errichtet. Heute liegt ihr Bestand bei fast 7.000 Becken. Das gesamte Beckenvolumen beträgt etwa 3,6 Millionen Kubikmeter, und die damit verbundene komplette Investitionssumme beläuft sich auf rund drei Milliarden Euro.
Die Eigenkontrollverordnung Baden-Württemberg sieht vor, dass die Betreiber von Abwasseranlagen, deren Bestandteil die RÜB sind, den ordnungsgemäßen Anlagenbetrieb durch regelmäßige Überprüfung gewährleisten. Aufgabe der Wasserbehörden ist es zu überwachen, dass die Betreiber die geforderten Eigenkontrollen und damit die der Anlage zugedachte Gewässerschutzwirkung – als Beitrag zur Erreichung des guten Zustands der Gewässer gemäß EU-Wasserrahmenrichtlinie – erfüllen. Die Eigenkontrolle für Regenwasserbehandlungs- und -entlastungsanlagen umfasst die Sichtkontrolle von Einlauf, Überläufen und Ablauf auf Ablage-rungen und Verstopfungen hin ebenso wie die Funktionskontrolle von technischer Ausrüstung, Messgeräten und Drosseleinrichtungen. Die Kontrollen sollen insbesondere nach Belastung der Anlagen durch Regen, bei RÜB mindestens zweimonatlich, bei sonstigen Anlagen vierteljährlich durchgeführt werden. An der Einleitungsstelle ins Gewässer sind vierteljährlich Sichtkontrollen auf Auffälligkeiten (Ablagerungen, Geruch etc.) durchzuführen. Alternativ dazu können die Anlagen über Fernwirktechnik an das Prozessleitsystem angebunden und Kontrollen zumindest teilweise am PC erledigt werden. So lassen sich Daten einfach speichern und analysieren. Die daraus erstellten Jahresberichte können den Aufsichtsbehörden zur Verfügung gestellt werden.
Konzertierte Unterstützung für die Betreiber
Der DWA-Landesverband Baden-Württemberg sieht für die Behebung der Defizite bei den RÜB ganz klar die Betreiber in der Pflicht – weiß aber auch, wie wichtig und wertvoll fachliche Unter-stützung für die Kommunen ist und dass es hier letztlich um die Wirksamkeit des Gewässerschutzes im Land geht. Vor diesem Hintergrund werden in einem gemeinsamen Projekt mit dem Umweltministerium Baden-Württemberg derzeit die Weichen gestellt für eine neue Expertenplattform – mit dem Ziel, den Betrieb der RÜB im Land flächendeckend und nachhaltig zu verbessern.
Initiative führt alle beteiligten Akteure zusammen
Konkret sollen über die neue Plattform alle beteiligten Akteure – aus Hochschule und Verwaltung, den Betrieben, der Industrie und planenden Ingenieurbüros – zum nachhaltigen Fachdialog mit Netzwerk-Charakter zusammengeführt werden. Organisationsstrukturen und inhaltliche Grundzüge für die Initiative entwickelt der DWA-Landesverband Baden-Württemberg als Knotenpunkt für alle Beteiligten aus Planung, Bau und Betrieb. Darüber hinaus wurde ein Projektbeirat aus Vertretern des Umweltministeriums und der Aufsichtsbehörden, des DWA-Landesverbandes und der Nachbarschaften sowie der Hochschulen und Planungsbüros ins Leben gerufen. Er besteht derzeit aus 14 Personen, begleitet das Projekt inhaltlich und fachlich und ist in alle Prozesse aktiv eingebunden.
Bewusstseinsbildung als Basis für den Projekterfolg
Für den erfolgreichen Aufbau des Fachbereichs RÜB wurden vier Handlungsfelder abgesteckt (siehe Abb. 5). Als Basis für den gesamten Projekterfolg soll zum Auftakt der Initiative Handlungsfeld 1 – die Bewusstseinsbildung in den Reihen der wasserwirtschaftlichen Akteure – im Fokus stehen. Ein zielgruppengerechtes Kommunikationskonzept zielt auf die Sensibilisierung aller Beteiligten für die Thematik RÜB ab.
Sonder-Nachbarschaften: Neuer Baustein für den fachlichen Austausch
Eine wichtige Rolle übernehmen in diesem Zusammenhang die Nachbarschaften, über welche die Betreiber mit ihrem Fachpersonal in der Fläche angesprochen werden. Schon jetzt ist das Thema RÜB in den Fortbildungsplan der Kanal- und Kläranlagen-Nachbarschaften integriert. Während gegenwärtig jedoch die anlagenbezogene Betrachtung der RÜB Gegenstand des Erfahrungsaustausches ist, soll künftig eine systembezogene Betrachtung im Gesamtverbund erfolgen, in der auch die Gewässer und deren Belastungen im Fokus stehen. Aufbauend auf die guten Erfahrungen mit den bestehenden Nachbarschaften ist im Rahmen der neuen Initiative zu diesem Zweck die Gründung von vier Sonder-Nachbarschaften RÜB mit je einem Lehrer und einem Obmann angelaufen. Zielgruppe dieser neuen Sonder-Nachbarschaften sind die mit der Betreuung der RÜB betrauten fachkundigen Mitarbeiter/-innen. Vor diesem Hintergrund lädt der Landesverband zeitnah die Betreiber landesweit zum neuen Erfahrungsaustausch ein.
Daten-Management und Betriebsdatenvergleich
Um den Betreibern eine Standortbestimmung und einen Kenntnisgewinn für die Betriebsoptimierung zu ermöglichen, soll für die RÜB ein landesweiter Datenvergleich aufgebaut werden. Hierbei werden der DWA-Landesverband und die zuständigen Behörden gemeinsam aktiv, um bereits vorhandene Daten zu nutzen und doppelte Datenerhebungen zu vermeiden. Den neuen Sonder-Nachbarschaften RÜB kommt bei der Umsetzung eine tragende Aufgabe zu. Die für den Daten-vergleich nötige kontinuierliche Datenerfassung und -bewertung hat sich in anderen Bereichen wie dem jährlichen Kläranlagen-Leistungsvergleich bestens bewährt.
Bildungskonzept verbreitet Fachwissen auf verschiedenen Ebenen
Die grundlegende Qualifizierung aller beteiligten Akteure soll durch ein umfassendes Bildungskonzept zur Vermittlung des notwendigen Fachwissens sichergestellt werden. Beim flächendeckenden Erfahrungsaustausch innerhalb der Nachbarschaftsarbeit ansetzend, soll dieses Konzept das Thema RÜB durch abgestimmte Schulungsangebote und Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen im Netzwerk thematisieren und in die Arbeit integrieren.
Forschungen zum Betriebsverhalten von RÜB
Ergänzend zu den Handlungsbereichen Bewusstseinsbildung, Nachbarschaftsarbeit (inklusive Daten-Management) und Qualifizierung werden vom DWA-Landesverband im Rahmen eines vierten Handlungsfeldes verschiedene Untersuchungen und Empfehlungen zum Thema RÜB zur Weiterentwicklung beauftragt. Die damit verbundenen Forschungen werden vorrangig an Hoch-schulen durchgeführt. Beispielsweise werden in diesem Kontext Kenngrößen zur Bewertung des Betriebsverhaltens von RÜB erarbeitet – mit dem Ziel, eine Basis für den Betriebsdatenvergleich zu entwickeln und Betreibern ein Werkzeug zur Betriebsoptimierung an die Hand zu geben.
Engmaschiger Aktionsplan stellt Thema RÜB in den Fokus
Im Bestreben, das neue Netzwerk um den Fachbereich RÜB so schnell und effektiv wie möglich zu weben, ist ein engmaschiger Aktionsplan aufgestellt worden, der die Akteure in verschiedenen Kontexten zusammenführt. So werden im September / Oktober 2015 erstmals die Sonder-Nachbarschaften tagen. Auf der DWA-Landesverbandstagung am 15./16. Oktober dieses Jahres wird der Betrieb von RÜB als Schwerpunktthema auf der Agenda stehen. Und für Februar 2016 ist als weiterer Schritt zu diesem Thema im Landesverband ein Expertenforum geplant.